Vor 20 Jahren, nach dem Abitur, bin ich für ein Jahr in die Ukraine gegangen. Solange ich zurückdenken kann, hatte ich Lust, hatte ich das Bedürfnis meine gewohnte Umgebung zu verlassen. Ich fühlte mich eingeengt, dachte, dass das, was ich um mich herum sehe, ja nicht alles sein kann. Ich wollte mich selbst neu entdecken in neuen Umgebungen, um herauszufinden wer ich bin, wer ich sein kann.
Vor diesem Jahr in der Ukraine war ich schon in den USA und habe dort ein halbes Jahr bei einer Gastfamilie gelebt und die High School besucht.
Aber als ich nach einem halben Jahr abfahren musste, hatte ich das Gefühl gerade erst angekommen zu sein, gerade erst gelernt zu haben, wie das Leben dort funktioniert und nun erst endlich teilhaben zu können – aber musste zurück. Gelernt habe ich trotzdem viel und bin extrem dankbar, diese Möglichkeit gehabt zu haben. Aber ich wollte mehr.
Meine Eltern waren nicht gerade begeistert von der Idee, zumindest am Anfang, und so suchte ich nach Programmen, an denen ich teilnehmen konnte, die mir meinen Auslandsaufenthalt finanzieren würden. Ich bewarb mich für verschiedene Aufgaben in Russland, Schweden, Indien, Südamerika und Ungarn. Alles Orte an denen ich noch nie gewesen war.
Letztendlich wurde ich für Ungarn angenommen und fand mich nicht zu viel Zeit später in der Ukraine wieder, in einem Dorf der ungarischen Minderheit dort. Ein Erlebnis was mein Leben und alles, was ich dachte zu wissen, auf den Kopf gestellt hat und der Grund ist, warum ich heute hier bin. Ich wollte Veränderung, die habe ich bekommen!
Es fühlt sich auch heute noch so an, als war der Weg in die Ukraine der Beginn, der zweite Beginn meines Lebens. Und gerade fühlt es sich so an als sei es der Beginn eines dritten Lebensabschnitts. Alle zwanzig Jahre? Das passt doch!
Nach Jahren des Suchens und Ausprobierens scheint jetzt die Zeit, um anzukommen. Covid hat uns alle verändert und vielleicht geholfen zu zeigen, was wirklich wichtig ist. Für mich ist das draußen sein, die Füße im Gras. Schmetterlinge, Blumen, Spaziergänge. Und mit und von der Natur leben.
Gewünscht habe ich mir das schon so lange, aber den Schritt gewagt, spontan, erst letzten Monat. Jetzt sitze ich hier, barfuß und habe genau das wonach ich mich so lange sehnte…
Aber zurück zum Anfang – als Vorbereitung auf unseren Auslandsaufenthalt bekamen wir von der Organisation ein Gedicht von Hermann Hesse: Stufen. Ich gab es an meine Mutter weiter, die es sofort auswendig lernte und auch immer noch in den unterschiedlichsten Momenten zitiert.
Und so geht es:
Hermann Hesse - Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
“Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben” – ein Satz, der mir hilft, wann immer mir neue Wege erst mal Angst machen.
Aber eine Wahrheit liegt in jedem dieser Sätze, immer wieder.
Letzte Woche habe ich mein altes Leben in Berlin in Kisten verpackt. Ein paar Dinge sind schon hier, der Rest folgt, sobald das Haus, in das ich gezogen bin, genug fertige Räume hat, um sie aufzunehmen.
Der WEB DESIGN FOR CHANGE Kurs (für die Deutsche Version: VON DER IDEE ZUM ERFOLG findet ihr unten mehr Informationen) hat letzte Woche auf Englisch die Türen geöffnet und die ersten Teilnehmer_innen haben begonnen ihre eigene Webseite zu bauen. Auf Deutsch wird es hoffentlich nächste Woche losgehen können.
Wir alle sehen uns immer wieder mit Veränderungen konfrontiert, gewählte oder ungewollte. Ich wollte das Gedicht mit euch teilen, weil es mir immer wieder Freude, Zauber und Sicherheit vermittelt.
Lasst uns mit Aufbrüchen und vielleicht auch bald wieder Reisen, uns der lähmenden Gewöhnung entraffen und alles für eine großartige Gegenwart tun.
„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“